Wallonisch – ein französischer Dialekt?

So einfach, wie folgende Frage samt Antwortmöglichkeiten in der gestrigen Ausgabe der „Millionenshow“ (österreichische Variante von „Wer wird Millionär?“) gestellt wurde, ist es nicht:
Wallonisch ist ein Dialekt welcher Sprache?
Ungläubiger Blick des Moderators: „In England red’t ma‘ Wallonisch?“
Wallonisch ist genauso wie Standardfranzösisch galloromanischen Ursprungs. Es wird in zwei kleinen Gebieten im Nordosten Frankreichs, in zwei Grenzgemeinden in Luxemburg, hauptsächlich aber im Großteil Walloniens (südlicher, frankophoner Teil Belgiens) gesprochen. Dort wird es jedoch nicht als ein französischer Dialekt, sondern als eine weitere Sprache neben dem mehrheitlich gesprochenen Französisch empfunden, und seit dem Jahr 1990 in Belgien offiziell als Regionalsprache (langue régionale endogène) anerkannt. Auf dieser Basis wird es vom Staat gefördert.

Noch bis Anfang des 20. Jahrhunderts war es in Wallonien die Volkssprache. In den nächsten Jahrzehnten verbreitet sich allerdings rasant das Französische zu Lasten des Wallonischen. Es wird geschätzt, dass zwischen 30 und 40 % von frankophonen Belgiern sich heute noch auf Wallonisch verständigen können, bei unter 30-jährigen beträgt dieser Anteil jedoch weniger als 10 %.

Während die französische Sprache in Belgien (die in einigen Quellen verwirrenderweise ebenfalls als Wallonisch bezeichnet wird) sich vom französischen Französisch nur wenig unterscheidet, weist das Wallonische große Abweichungen gegenüber der französischen Standardsprache auf. Innerhalb der galloromanischen Sprachgruppe hat es die meisten germanischen Spracheinflüsse und in der Phonetik konserviert es praktisch den Aussprachestand vom hohen Mittelalter.

Wallonischer Text – Beispiel
(Vergleich mit Standardfranzösisch)Sul place di l‘ èglije, dé les botikes èt one miète tos costés su les vôyes, ci n‘ èstéve ki ramonceladjes di djins.Sur la place de l’église, près des commerces, et un peu partout dans les rues, on voyait des gens se rassembler.[Auf dem Kirchenplatz, neben der Läden, und ein wenig überall auf den Straßen, sah man Menschen sich versammeln.]