Neutral-Moresnet – erster Esperantostaat der Welt

Auf dem Wiener Kongress 1815 konnte nicht beschlossen werden, wem ein 270 ha großer Landstreifen im Grenzgebiet zwischen den Niederlanden und Preußen (heute Deutschland, Belgien und Niederlande) gehören wird. So entstand ein provisorischer Zwergenstaat, der bis 1919 existierte, und auf dem bis zuletzt napoleonische Gesetze galten.

Neutral Moresnet zwischen Belgien, den Niederlanden und Deutschland
Neutral Moresnet zwischen Belgien, den Niederlanden und Deutschland.
Altenberg, heute Kelmis, war die ursprüngliche Bezeichnung von Neu Moresnet
Was das Gebiet interessant machte, waren seine Bodenschätze: In Moresnet befand sich eine Zinkgrube. Industrieentwicklung, niedrige Steuern und vorübergehende Möglichkeit, den Militärdienst zu umgehen, zog neue Einwohner an: Während um das Jahr 1818 noch 256 Einwohner gezählt wurden, haben vor dem 1. Weltkrieg in Neutral-Moresnet rund 4700 Einwohner gelebt.

Im Sommer 1906 trifft der Franzose Gustave Roy den sprachbegeisterten ortsansässigen Arzt Dr. Wilhelm Molly. Beide eingefleischte Esperantisten diskutieren ernsthaft über die Möglichkeit, den ersten Esperantostaat der Welt zu errichten. Das neutrale Gebiet halten sie für ihr Vorhaben für mehr als geeignet. Im Jahr 1907 wird im Schützenlokal eine Versammlung für die Bewohner abgehalten, auf der sie für die Sprache und den Esperantostaat „Amikejo“ (Ort der großen Freundschaft) werben. Die Bewohner lassen sich für die Idee begeistern. Sie besuchen Esperantokurse, die Gastwirtschaften werden in Esperanto firmiert. Roy startet eine groß angelegte internationale Kampagne, deren Hauptargumente die Neutralität des Gebietes und seine günstige geografische Lage sind. Das Echo der internationalen Presse ist groß.

Auf dem IV. Esperanto-Weltkongress in Dresden 1908 bekam zwar Gustave Roy keine Zustimmung für die Errichtung eines Esperantostaates, es wurde allerdings beschlossen, den Hauptsitz des Esperanto-Weltbundes von Genf nach Neutral-Moresnet zu verlegen. Am Jahresende wurde in Neutral-Moresnet ein Esperanto-Fest veranstaltet.

Der 1. Weltkrieg durchkreuzte die Pläne, der Plansprache eine Heimat zu geben. Bis heute lockt das ehemalige neutrale Gebiet im heutigen Belgien mit Esperantokursen. Im heutigen Kelmis finden Treffen der Plansprachbegeisterten statt und in den örtlichen Gastwirtschaften werden weiterhin Esperantobegriffe benutzt.