Europäische Kommission sucht Dolmetscher über YouTube

Der Europäischen Union droht bald ein Dolmetschermangel, und das paradoxerweise für Sprachen wie Englisch, Deutsch oder Französisch. Der Grund ist die Alterspyramide: In den 70er Jahren, besonders im Rahmen des Beitritts Großbritanniens und Irlands zur EU, traten viele Dolmetscher in ihre Dienste, die in den nächsten Jahren in die Rente gehen.

Europäische Kommission sucht neue Dolmetscher auf untraditionellen Wegen
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Am kritischsten ist gerade die Situation für die englische Sprache. Sie etablierte sich in den vergangenen Jahren als die Sprache Nr. 1 bei internationalen Veranstaltungen, so dass das illusorische Gefühl entstand, dass Englisch überall ausreicht. Wohl auch deswegen begrenzte die britische Regierung den Fremdsprachenunterricht um drei Viertel.

Weil immer grundsätzlich in die Muttersprache gedolmetscht wird, leidet deswegen darunter die Erneuerung des Englisch-Dolmetscherpools durch junge Muttersprachler. Pro Jahr kommt im Schnitt nur noch ein neuer hinzu. Im gleichen Teich wie die Europäische Union fischen zudem auch weitere internationale Institutionen, wie zum Beispiel die UNO oder Weltbank, die sich mit dem gleichen Generationsproblem beschäftigen müssen.

Das Vorhandensein von Englisch-Dolmetschern ist für eine funktionierende Europäische Union entscheidend: Während dieselbe Veranstaltung auf dem Boden der EU in Abwesenheit von slowenischen oder lettischen Dolmetschern stattfinden kann, müsste sie bei Abwesenheit von Englisch-Dolmetschern vertagt werden. Und das u. a. auch deswegen, weil das Englische als Relaissprache funktioniert, d. h., dass der Englisch-Dolmetscher unter Umständen nicht nur direkt für die Zuhörer dolmetscht, sondern auch für andere Kollegen, die seine Worte simultan in eine weitere Sprache dolmetschen.

Die Europäische Kommission reagiert auf den drohenden Dolmetschermangel mit der Veröffentlichung von Filmen auf dem eigenen YouTube-Kanal, um junge Briten und Iren zu motivieren, dass sie sich für Fremdsprachen und Arbeit als Dolmetscher für die Europäische Union interessieren. In diesem Jahr wird dieselbe Kampagne zur Anwerbung von Muttersprachlern der deutschen und französischen Sprache gestartet, im nächsten Jahr u. a. auch des Niederländischen.

In europäischen Institutionen hat jeder das Recht, seine Sprache zu verwenden. Auch sprachkundige Sprecher des Niederländischen und der skandinavischen Sprachen nutzen diese Möglichkeit. Das Dolmetschen in die eigene Sprache wird dagegen in der Regel nicht in Anspruch genommen, Dolmetschen ins Englische oder Französische reicht ihnen.

Ein beginnender Dolmetscher verdient bei der EU monatlich rund 5000 € brutto. Wenn die Jahreskosten für das Dolmetschen in den europäischen Institutionen zusammengezählt werden, kommen sie jeden europäischen Steuerzahler auf 0,41 €.